BFH 27.7.2011, VI R 9/11
Einkommensteuerschuld des Insolvenzschuldners ist keine Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 InsO
Das Recht der Steuerklassenwahl geht im Verbraucherinsolvenzverfahren nicht auf den Insolvenzverwalter über. Es verbleibt auch während des Verfahrens beim Insolvenzschuldner.
Der Sachverhalt:
Der Kläger war im Mai 2005 in einem Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Ehepaares zum Treuhänder bestellt worden. Die Insolvenzschuldner waren beide im Streitjahr 2006 ausschließlich nichtselbständig tätig. Die Arbeitgeberin des Insolvenzschuldners behielt Lohnsteuer aufgrund der Lohnsteuerklasse 3 ein und kehrte den pfändbaren Teil des Arbeitslohnes an die Insolvenzmasse aus. Bei der Insolvenzschuldnerin wurde dem Lohnsteuerabzug entsprechend die Lohnsteuerklasse 5 zu Grunde gelegt. Es ergaben sich im Streitjahr keine pfändbaren Lohnanteile.
Das Finanzamt erließ einen Einkommensteuerbescheid für die Insolvenzschuldner an den Kläger. Dieser entsprach inhaltlich der von den Insolvenzschuldnern abgegebenen Steuererklärung und führte zu einer Nachzahlung. Der Kläger wehrte sich gegen die Einordnung der Steuerschuld als Masseverbindlichkeit.
Das FG gab der Klage statt. Die Revision des Finanzamtes blieb vor dem BFH erfolglos.
Die Gründe:
Die Einkommensteuerschuld der Insolvenzschuldner war keine Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 InsO.
Masseverbindlichkeiten sind gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Dies war vorliegend nicht der Fall, denn die Arbeitstätigkeit der Insolvenzschuldnerin als solche stellte keine Verwaltungsmaßnahme des Klägers dar. Ein Bezug zur Masse war schon deswegen ausgeschlossen, weil die Arbeitskraft des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse gehörte.
Entgegen der Auffassungen des Finanzamtes und des FG lag eine Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters auch nicht allein deshalb vor, weil das Arbeitseinkommen der Insolvenzschuldnerin als Neuerwerb (teilweise) zur Masse gelangt war und diese damit vermehrt wurde. Der BFH hatte bereits entschieden, dass im Fall von Einkommensteuernachzahlungen, die auf Lohneinkünften beruhen, die Steuerschuld keine Masseverbindlichkeit begründet, auch wenn der pfändbare Teil des Erwerbseinkommens zur Masse gelangt ist.
Insbesondere war der Kläger aber nicht dadurch verwaltend i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO „tätig“ geworden, dass er es unterlassen hatte, die Lohnsteuerklassen der Insolvenzschuldner selbst zu bestimmen. Denn dem Kläger oblag keine Pflicht, das Steuerklassenwahlrecht für die Insolvenzschuldner auszuüben. Dieses Recht der Steuerklassenwahl geht nicht auf den Insolvenzverwalter über. Es verbleibt auch während eines Insolvenzverfahrens bei den Insolvenzschuldnern.